Altlast Ehrenbürgerschaft: Wenn die Ehrenbürgschaft zur Bürde wird

Der Referent Dr. Konrad Schlude, die Präsentation im Hintergrund zeigt ein Foto vom Besuch Robert Wagners 1934 in Jestetten

Unter dem Titel „Altlast Ehrenbürgerschaft“ beschäftigte sich das Bildungswerk Jestetten mit Ehrenbürgerschaften aus der NS-Zeit. Der Referent Dr. Konrad Schlude, Leiter des Bildungswerks, berichtete in seinem Vortrag über neue Erkenntnisse zur Jestetter Geschichte.

Eine Ehrenbürgerschaft ist die höchste Auszeichnung einer Gemeinde, formell betrachtet endet die Ehrenbürgerschaft spätestens mit dem Tod des Geehrten. Aber wie Schlude darlegte, kann es eine lange Nachwirkung geben. Dies zeigt sich insbesondere bei Wilhelm Hug (1880-1966), der von 1923 bis 1932 Leiter des Forstamtes Jestetten war, und 1933 als badischer Forstmeister der höchste Forstbeamte Badens wurde; bis in die heutige Zeit wird immer wieder auf Hugs Tätigkeit in der NSDAP hingewiesen.

Die bisher bekannten Quellen erwähnen, dass Hug 1934 Ehrenbürger von Jestetten geworden sei. In seinem Vortrag erläuterte Schlude, dass es durchaus Zweifel an dieser Überlieferung gibt; schon 1966 hat man im Gemeindearchiv vergeblich nach Dokumenten gesucht. Wichtig sei auch, dass bis zur angeblichen Verleihung der Ehrenbürgerschaft 1934 keinerlei Verdienste um Jestetten erkenntlich sind; und wie Schlude mit erstmalig ausgewerteten zeitgenössischen Artikeln aus unterschiedlichen Zeitungen belegen konnte, war Wilhelm Hug im Gegensatz zu späteren Beschreibungen aus den 60er Jahren sehr wohl ein überaus aktiver Nationalsozialist.

Wie der Referent dann aber weiter ausführte, ist Wilhelm Hug gar nicht die größte „Altlast“ in der Jestetter Geschichte. Denn löst man den Fokus von der Person Wilhelm Hug, dann entdeckt man in den schon lange bekannten Dokumenten Hinweise auf die Ehrenbürgerschaft des badischen Reichsstatthalters und Gauleiters Robert Wagner (1895-1946). Während Wilhelm Hug nach dem Krieg als „minderbelastet“ entnazifiziert worden war, wurde Wagner als Kriegsverbrecher hingerichtet.

Mit weiteren, ebenfalls erstmalig ausgewerteten Zeitungsberichten aus dem Jahr 1933 belegte Schlude, dass Hug und Wagner zusammen zu Ehrenbürgern ernannt worden sind. So berichtete der Alb-Bote am 1. August 1933 darüber, was unter anderem zeigt, dass die Überlieferung einer Verleihung im Jahr 1934 falsch ist.

Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde mag mit ein Grund dafür gewesen sein, dass Robert Wagner bei seinem Besuch am Hochrhein im Februar 1934 auch in Jestetten gewesen ist. Die NS-Presse berichtete mit großem Pathos darüber. Im Vortrag konnte auch erstmalig ein Foto dieses weitestgehend vergessenen Besuchs der Öffentlichkeit gezeigt werden; der Jestetter Berthold Danner hatte dieses Foto in seinem Archiv entdeckt und zur Verfügung gestellt.

Für Jestetten stellt die Ehrenbürgerschaft von Robert Wagner aber noch aus einem weiteren Punkt ein Problem dar. Denn 1940 wurden im Rahmen der Euthanasiemorde zahlreiche Patienten der Kreispflegeanstalt Jestetten abtransportiert und dann umgebracht. Da davon auszugehen ist, dass auch badische Stellen in diese Morde involviert waren, trägt der badische Reichsstatthalter und Jestetter Ehrenbürger eine Mitverantwortung, insbesondere auch an den Morden an Patienten aus Jestetten.

Zur Bewertung dieser Ehrenbürgerschaften erklärte Schlude, dass bei der Verleihung 1933 keinerlei Verdienste um Jestetten bekannt sind; damit fehlt die Grundlage einer Verleihung. Vielmehr seien diese Ehrenbürgerschaften für die Zeit typische Patronate, wobei man sich bei Größen aus Politik und Partei „eingeschleimt“ hat. Das war selbst der NSDAP auf Dauer zu viel, weshalb solche Verleihungen ab Frühjahr 1934 unterbunden wurden.

Trotzdem war für Schlude klar, dass der Versuch einer posthumen Aberkennung der Ehrenbürgerschaften nur eine Art Geschichtsklitterung sei. Statt immer nur auf die Täter zu schauen, müssten auch die Opfer gewürdigt werden. Dazu gehört neben den getöteten Patienten der Kreispflegeanstalt auch der hingerichtete polnische Zwangsarbeiter Josef Bestry, zu dessem 80. Todestag Kolping und Bildungswerk am 9. Oktober 2022 eine Gedenkveranstaltung durchführen. Erinnert werden soll auch an die „Aufrechten“, Jestetter Bürger und in der Kreispflegeanstalt tätige Ordensschwestern, die Patienten vor dem Abtransport versteckten. Und wenn man Wilhelm Hug das Untergraben der Demokratie vorwerfe, dann solle man auch die „frühen Demokraten“ nennen, die sich für diese Demokratie eingesetzt haben. Schlude nannte hier beispielhaft den eng mit Jestetten verbundenen Reichstagsabgeordneten Carl Diez und den in Wellendingen geborenen Reichskanzler Constantin Fehrenbach.

Der Vortrag führte zu intensiven Diskussionen unter den Teilnehmern. So wurde unter anderem ausgeführt, dass es noch viele Aspekte der Jestetter Geschichte gibt, die noch untersucht werden müssen.